Alle sind das Volk

angela-merkelsw

Es sind traurige Bilder. Menschen sind mit Hass erfüllt, pfeifen, buhen, fluchen. Sie greifen unsere Kanzlerin an, brüllen rechte Parolen und runden das Ganze mit „Wir sind das Volk“ ab. Und wir denken uns „Gott behüte“. Wir sind empört und wütend. Doch gerade die Frau, auf die alle Waffen gerichtet sind, spricht aus was wir vergaßen: „Alle sind das Volk“.

Ich erinnere mich an den Friedensnobelpreis für Präsident Obama. Er war gerade mal ein Jahr im Amt und es gab keine einzige Tat, die seine Auszeichnung 2009 hätte rechtfertigen können. Daran hat sich heute nicht viel geändert. Dennoch, der Kult um Obama hielt lange. Wir lieben Hollywood. Obamas Wahl war wie das Finale eines Spielberg Klassikers, bei dem am Ende das Gute siegt. Der Friedensnobelpreis? Wer, wenn nicht er? Das Land der Träume. Die gelebte Realität muss Platz machen für den amerikanischen Traum. Doch wir spüren, dass da was nicht stimmt. Dass die Auszeichnung nicht gerechtfertigt ist. Dass Guantanamo real ist. Wir wissen, dass die Kriege weitergehen. Dennoch erwischen wir uns wie wir Obama nicht widerstehen können, wenn er mit seinem Lächeln und den lässig hochgekrempelten Armen einen coolen Spruch abgibt. Er ist einer von uns. Einer von den „Guten“. Der Traum bestimmt auch unsere Realität. Wenn wir denn träumen.

Wir haben kein Hollywood. Deutsche Filme sind oft Trist. Lange stille Szenen, dunkle Bilder. Happy Endings gibt es kaum. Wir träumen, aber meistens sind wir wach. Denn uns trennen keine tausende Kilometer Ozean von den Konsequenzen des arabischen Frühlings und den Kriegen in Syrien und im Irak. Europa ist harte Arbeit. Unsere Wände bröckeln. Neue Feindbilder verbreiten sich wie Strohfeuer. Der Islam ist zur Projektionsfläche unserer Ängste geworden. Wir sind müde. „Wir schaffen das“ sagt eine Frau. Einige schmunzeln. Für viele ist es ein Aufruf, weiterzumachen. Was ist die Alternative? Einige glauben, dass sie eine Partei ist. Sie sagen, sie können nicht mehr, sie fürchten um Ihren Arbeitsplatz, um ihre blonde Tochter, um das christliche Abendland. Die Kirche bangt nicht, nein sie macht weiter. Sie glaubt. Doch woran glauben die Pfeifenden? Sie wollen wissen, wer das Land verraten hat. Sie wollen Rache. Die Spitze des Eisberges ist am Lautesten. Die Meisten buhen im stillen Kämmerchen, auf dem Arbeitsplatz, beim Stammtisch. Längst sind es nicht mehr die Armen und Verzweifelten des Landes. Sie sind satt und ausgeschlafen. Den Flüchtling kennen sie nur aus dem Fernsehen. Die Moschee aus einem Spiegel-Cover. „Alles soll so bleiben wie es ist“ denken sie sich. Dabei sägen sie in das Fleisch und trinken den Wein. Was kostet ein Menschenleben? Was würde man geben um eines zu retten? „Romantische Fragen“ sagen sie. Ihnen kämen die Tränen. Der Spott macht uns wütend. Wir wollen ihre Pfiffe nicht mehr hören. Die Frau sagt „Alle sind das Volk.“ Einige sind verwirrt. Für viele ist es ein Weckruf.

Die Geschichtsbücher werden den Buhenden wenige Zeilen widmen. Sie bekommen nicht was sie wollen. „Und da waren noch die Schnöden“ wird es heißen. „Sie steckten in einem Dilemma, denn sie hassten das Andere doch ihre Identität war davon abhängig“. Und die mutige Frau? Der Mensch vergisst schnell. Wir vergessen, was war und beurteilen das Ist. „Ich hätte einiges anders gemacht“ sagt Sie. Denn selbst in der Partei wird gemeutert. Sie wittern ihre Chance, denn das Volk bekommt es mit der Angst zu tun. Wovor habt ihr Angst? Stille. Die mutige Frau ist ein Vorbild für die Welt. „Merkel muss weg“ rufen sie. Sie rufen auch „Neger raus“. Doch was rufen die Parteikollegen? Sie wollen einen Mann. „Die Umfragewerte sind schlecht“ heißt es. Mut kennt keine Umfragewerte. Sie verstehen es nicht. Die mutige Frau wusste was Sie tut. „Wie hält Sie den Druck aus“ fragen sich die Anderen. Sie kann ruhig schlafen. 1 Millionen Menschen beten für Sie. Wer betet für uns? Sie träumt aber nicht, dafür ist keine Zeit. Vermarkten kann Sie ihre Taten nicht. Trudeau hat 25.000 Flüchtlinge aufgenommen. Das Video hat Millionen Klicks. Sie hat nicht einmal einen Twitter-Account. Muss sie es denn vermarkten? Wir lieben leider Hollywood. Doch unsere Kinder lesen in den Geschichtsbücher von der mutigen Frau. Sie wird die Brandstifter überleben. Manchmal braucht es kleine Niederlagen um große Siege zu erlangen. Die Meisten werden Ihr morgen danken. Ob sie einen Friedensnobelpreis bekommt? Was ist der noch wert? Ich danke ihr heute.

Mehmet Alparslan Çelebi
Blogger / Social Activist / Refugees Activist / Speaker for Topics on Muslim & Turkish Identity in EU

5 Kommentare

  1. Lieber Mehmet. Du verdienst meinen großen Respekt für dein Engagement und den Einsatz, wobei wir alle aktiv sein sollten: Sozialpolitik.
    Und deinen wertvollen Kommentar hat auch die mutige Frau Merkel verdient, da sie dem Gesicht der feigen Pegida-Anhängern „Alle sind das Volk“ ausrufen kann.
    Weiter so.

  2. Eins kann man ihr wirklich hoch anrechnen ,,Wir schaffen das“.
    Während die ganzen EU Schmarotzer ihren neuerworbenen EU-Felle davon schimmen sahen, hat sie mit jenem Satz die Menschen aufgefordert -Mensch zu sein-.

    Was den pöbelnden, rechten Mob angeht, habe ich weniger Mitleid!
    Sie war es die die breite Öffentlichkeit auf diesen Pöbel aufmerksam machte.
    Und seitdem hat sie nur zugeschaut, wie selbst Politiker aus den eigenen Reihen und der Koalition diese Gesinnung zum Teil rechts überholt haben, anstatt dem einen Riegel vorzuschieben!
    Die Geister die ich rief….

  3. Hallo Leute
    Freunde und andere Menschen

    Ja , ich bin auch “ das Volk “
    Ja , ich bin auch ein Fluechtling – doch wohin , soll ich Fluechten ?
    Ich bin , Deutsch – kein Krieg , keine Verfolgung , kein fuerchten um mein Leben .
    Und doch bin ich Fluechtling – vor den Mitmenschen , die nur von Naechstenliebe sprechen !
    Danach Handeln . Leben , Fehlanzeige !
    Ich schäme mich , oft in letzter Zeit – nicht für mich !
    Für euch , die schreien : wir sind das Volk ! und meinen : ich, ich , ich , ich , ich ………
    In dem Sinne ……..
    Ich bin ein Mensch

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